FODMAP, ATI und Co. – Was ist das und warum sollte mich das interessieren?

Macht Brot wirklich krank?

Es existieren etliche Behauptungen, Gerüchte und Veröffentlichungen zu dem Thema, warum unser Brot krank machen soll.

Vieles was behauptet wird, ist aus dem Zusammenhang gerissen, gespickt von Halbwahrheiten oder schlicht nicht dezidiert betrachtet. Vor allem die Medien und populärwissenschaftliche Bücher haben in den letzten Jahren enorm dazu beigetragen diese Verunsicherung unter den Menschen zu verbreiten und Behauptungen in die Welt zu posaunen die schlichtweg falsch sind. Ich möchte dies gerne mal zum Anlass nehmen um mit einigen Dingen aufzuräumen, bzw. die mir bekannten Informationen wiederzugeben und vielleicht einen anderen Blickwinkel zu eröffnen.

Versuchen wir uns diesem doch recht schwierigen Thema etwas anzunähern. In den meisten Fällen geht es nicht um das Brot an sich, sondern es geht um den Weizen, welcher sich im Brot befindet.

Da wird behauptet, dass moderne Weizensorten überzüchtet seien, das Gluten darin dem Menschen schadet, zusätzlich noch schädliche FODMAPS und ATI enthalten sind und uns somit krank machen wenn wir den Weizen essen. Außerdem werden wir alle fett und blöd wenn wir uns von Weizen ernähren.

Stimmt das überhaupt?

Nun, zunächst wollen wir einige Fakten betrachten:

Weizen gehört neben Reis und Mais zu den meist angebauten und meist verzehrten Kulturgetreiden weltweit. Für eine gesunde Ernährung ist der Verzehr von Getreiden essentiell und vor allem Vollkornprodukte z. B. aus Weizen gehören zu einer vollwertigen Ernährung dazu. Die Versorgung mit Ballaststoffen und Mineralstoffen kann über Vollkornprodukte sichergestellt werden.

Fakt ist auch, dass es Menschen gibt, die mit Weizen oder dessen Inhaltsstoffen Probleme haben. Hier können sich echte Krankheitsbilder entwickeln, die schädlich sind, aber in der Regel nur einen kleinen Anteil der Welbevölkerung betreffen. Bekannt sind dabei folgende Beschwerde- oder Krankheitsbilder:

  • Zöliakie
  • Weizenallergie
  • Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität

Zöliakie ist eine schwerwiegende, entzündliche Erkrankung des Dünndarms. Die Darmepitelzellen werden bei dieser Krankheit zerstört und der Darm nachhaltig geschädigt. Für Betroffene sind geringste Spuren des im Weizen enthaltenen Glutens daher schädlich und eine strikte Glutendiät muss eingehalten werden. Von der Weltbevölkerung sind ca. 1 % betroffen. In Deutschland sind es hingegen 0,3 %.

Bei der Weizenallergie handelt es sich um eine echte Allergie, mit im schlimmsten Fall lebensbedrohlichen Folgen. Auslöser sind hier in der Regel Weizenproteine wie Albumine und Globuline, sowie Glutenfraktionen. In Europa sind in etwa 0,1 % der Erwachsenen von einer Weizenallergie betroffen. Am meisten trifft es hier immernoch das Backhandwerk, wo sich in der Regel die Weizenallergie mit der Zeit entwickelt. Das sogenannte Bäckerasthma ist eine Folge der Weizenallergie und eine anerkannte Berufskrankheit des Bäckerhandwerks. Die Weizenallergie kann sowohl über das Einatmen von Mehlstaub wie auch durch die Aufnahme von Weizen über den Darm auftreten. Wie andere Allergien auch, ist damit nicht zu spaßen, durch einen anaphylaktischen Schock kann eine Allergie tödlich enden.

Bleibt noch die Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität (der Einfachheit halber wollen wir sie im nachfolgenden als Sensitivität bezeichnen). Die Sensitivität steht zur Zeit im Fokus der Forschung, da diese äußerst komplex ist und immerhin zwischen 0,6 – 6 % der Weltbevölkerung betrifft (für Deutschland gehen die Quellen von ca. 1 % Betroffener an der Gesamtbevölkerung aus). Die Ursachen sind hierbei noch nicht abschließend geklärt, es können aber mehrere Verursacher dafür in Betracht gezogen werden. Bisher stehen spezielle Kohlenhydrate, die sogenannten FODMAPS (= fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccheride und Plyole), Proteine, wie ATI (= alpha-Amylase-Trypsin-Inhibitoren) und Glutenfranktionen in Verdacht Probleme auszulösen. Man geht zur Zeit davon aus, dass es die Sensitivität mit einem Reizdarmsyndrom einhergeht, welches Blähungen und Schmerzen verursacht.

Insgesamt können also 2 Fraktionen in Zusammenhang mit dem Verzehr von Weizen in Zusammenhang gebracht werden, die zu Beschwerden führen können. Zum Einen Kohlenhydrate wie FODMAP’s und zum Anderen Proteine wie ATI und Gluten.

Aufbau eines Getreidekorns. Proteine des Getreidekorns können für Zöliakie, ATI-Sensitivität und Weizenallergie verantwortlich sein. Überwiegend kommen diese in der Aleuronschicht und die ATI teilweise auch im Mehrkörper vor. FODMAP’s finden sich insbesondere in den Kornrandschichten und im Keimling.
Bildquelle: https://www.umweltbildung.enu.at/getreide-vom-korn-zum-brot

FODMAP’s finden sich übrigens nicht nur in Weizen (hier insbesondere im Keimling und den Randschichten des Korns, weswegen Vollkornmahlerzeugnisse hier besonders belastet sein können), sondern auch in Obst und Gemüse, z. B. in Artischocken, Birnen oder allerlei Lauch- und Zwiebelgewächsen. Für ein gesundes Mikrobiom (Darmbakterien) bei einem gesunden Menschen sind die FODMAP’s (u. a. Fruktane) sogar hilfreich und wichtig.

Untersuchungen u. a. der Universität Hohenheim haben gezeigt, dass der FODMAP-Gehalt in alten und modernen Weizensorten kaum Unterschiede aufweist. Es ist also falsch, wenn behauptet wird, dass FODMAPS in alten Getreidesorten reduziert auftreten würden, das Gegenteil ist der Fall.

Weiterhin wurde festgestellt, dass durch entsprechende Gärung bei der Teigbereitung ein Großteil dieser FODMAPS abgebaut werden können. Hier kommt jetzt immer mein Lieblingszitat ins Spiel, das immer wieder gerne angeführt wird: „Lass dein Brot einfach 3 h mit möglichst wenig Hefe gehen und alles ist in Butter“. Lasst uns die Parameter betrachten unter denen diese Annahmen in der Studie der Uni Hohenheim getroffen wurde:

  • Frisch ermahlenes Vollkorngetreide
  • 3 h Gärzeit
  • 4,2 % Hefe
  • 30°C Gärtemperatur

Kein Brot der Welt würde unter diesen Umständen noch backfähig sein. Es ist richtig, dass die FODMAP-Gehalte unter diesen Umständen sehr reduziert werden, aber ist das wichtig?

Ja, aber in der Regel ist das irrelevant, da die Teigführungsparameter in der Backwelt da draußen andere sind und der allergrößte Anteil der Backwaren eben nicht aus Vollkorn besteht.

Die Behauptung, man müsse die Gärzeit nur lange genug hinauszögern, um das selbe Ergebnis zu bekommen ist falsch. Dies wird sehr oft behauptet, auch in den Medien, in Foren im Internet und sonst noch überall, bildet aber nicht die Studienergebnisse ab.

In (Hobby-)Bäckerkreisen wird daher oft mit sehr reduzierten Hefemengen und langer Gare über die Gärunterbrechung (Kühlschrank) gefahren, um auf ein ähnliches Ergebnis zu kommen. Das kann nicht funktionieren und der Grund ist einfach: Da es sich um fermentierbare Kohlenhydrate handelt, wie der Name ja bereits verrät, muss eine entsprechende Gärung stattfinden können (wie es in der Studie auch der Fall war). Reduziert man nun die Hefemenge auf ein Minimum UND reduziert man die Temperatur der Gärung auch noch, so kommt die Hefegärung, also die Fermentation, quasi zum Erliegen.

Fakt ist, dass die FODMAP Mengen ca. 1 h nach Anteigung am höchsten sind und in etwa der des Mehles entsprechen. Bereits nach 2,5 h liegen die Mengen der FODMAPS bei 1/3 der ursprünglichen Menge und nach 4 h bei knapp 10 %. ABER: Beim Brotbacken werden häufig Vor- und Sauerteige eingesetzt, sodass bereits ein Abbau dieser Kohlenhydrate stattfinden kann. Die Wirkung von Sauerteig auf den FODMAP-Abbau wurde in mehreren Studien untersucht und es wurde festgestellt, dass diese die Reduktion der FODMAPS enorm begünstigen. Fakt ist außerdem, dass in der Regel kein Brot so kurze Gärzeiten aufweist. In den meisten Studien wurde z. B. belegt, dass diese höheren FODMAP-Gehalte bei sehr kurzen „Gärzeiten“, wobei man hier eigentlich fast lachen muss, bei Broten auftreten die NICHT Hefegetrieben und NICHT Sauerteiggetrieben waren, sondern durch Backpulver oder Natron getrieben wurden, wie es in Großbritannien teilweise üblich ist. In Deutschland gibt es so etwas nicht oder nur äußerst selten.

Und selbst bei diesen äußerst kurzen Gärzeiten sind die FODMAP Gehalte im Brot noch so gering, dass die für eine Low-Fodmap-Diät nach dem Varney’schen Grenzwert geeignet wären. Jede Zwiebel, jeder Apfel, jede Birne oder Artischoke überschreitet im Vergleich den Wert um ein 3- oder 4-faches.

Das Thema FODMAPS ist bei Backwaren daher vermutlich vollkommen überbewertet. Zu diesem Schluss kommen auch Prof. Brouns von der Universität Maastricht und Prof. Longin von der Uni Hohenheim.

Allerdings muss man hier sagen, dass bei enorm kurzen Teigführungen und insbesonderer maschineller Aufarbeitung Hilfsmittel, Enzyme usw. zum Einsatz kommen, deren Wirkung auf die menschliche Gesundheit noch kritisch hinterfragt werden müssen.

Fassen wir hier einmal kurz zusammen:

  • Bei der Teigführung ist eine längere Teigführung zwar gut (insbesondere in geschmacklicher Hinsicht), aber der Hauptabbau der FODMAPS erfolgt ohnehin relativ bald. Sehr kurze Zeiten <= 1h und Teigführungen welche nicht über Hefe- oder Sauerteigführungen realsiert werden, sollten vermieden werden.
  • Sauerteig begünstigt einen entsprechenden Abbau durch spezielle Bakterienkulturen.
  • Die Auswahl der Sorte kann einen Vorteil bringen, allerdings sind was den FODMAP-Anteil anbelangt alte Sorten nicht im Vorteil gegenüber modernen Sorten.
  • Auf Zuckerzusätze sollte man verzichten.
  • Das Mikrobiom gesunder Menschen verlangt sogar nach mehr FODMAPS für eine entsprechende Funktion.

Wir haben jetzt lange über FODMAPS gesprochen, wie sieht es nun mit den anderen Inhaltsstoffen aus?

ATI sind Proteine, die sogenannten α-Amylase-Trypsin-Inhibitoren. Sie sind kaum erforscht und auch deren Zweck ist daher nicht hinlänglich bekannt. Möglicherweise können sie bei der Reifung des Keims eine Rolle spielen, indem sie den Abbau der Speicherkohlenhydrate und des Speicherproteins verhindern bis die Reserven dann für den Keimling zur Verfügung stehen. Es sind wasserlösliche Nicht-Gluten-Proteine und spielen eine medizinische Relevanz vor allem bei der Weizenallergie (Stichwort „Bäckerasthma“). ATI können die angeborene Immunantwort im Darm stimulieren.

Eine Rolle bei der Weizensensitivität oder auch bei Reizdarm konnte bislang medizinisch nicht festgestellt werden. Es forschen allerdings eine große Anzahl an Medizinern daran wie ATI hier ggf. mit reinspielen können. Eine abschließende Erkenntnis gibt es nicht.
ATI stehen allerdings bei der echten Weizenallergie in Zusammenhang.

Bei den ATI ist es ähnlich wie bei den FODMAPS: Sorte und Art des Weizens haben einen großen Einfluss auf den Gehalt, ebenso wie der Anbauort. Weiterhin haben moderne Weizensorten keinen höheren Gehalt, als beispielsweise alte Sorten.

Wie sieht es nun also mit dem Gluten aus und ggf. der Aussage aus, dass insbesondere hier Dinkel gesünder als Weizen wäre?

Mal abgesehen davon, dass Dinkel eine Weizenart ist (quasi der Großvater vom Weizen), hat dieser wie die meisten anderen alte Getreidearten einen wesentlich höheren Anteil an Gluten als moderne Weizenarten. Die Zusammensetzung ist jedoch anders: So kann beim Dinkel mehr Gliadin als Glutenin vorhanden sein (Gliadin und Glutenin bilden zusammen das sogenannte Gluten). Dieses Besonderheit ist auch für die Backeigenschaften des Dinkels maßgeblich (eher nachlassendere Teige, Trockenbacken, Empfindlichkeit gegenüber zu starker mechanischer Beanspruchung). Dinkel hat im Vergleich zum modernen Weizen auch mehr Mineralstoffe, mehr Lipide, aber auch mehr ATI und mehr FODMAPS. Macht ihn dies also tatsächlich gesünder? Vertragen weizensensitive Menschen Dinkel daher besser?

Ich weiß es nicht. Und die übrige Fachwelt weiß es auch noch nicht. Bislang kann nicht nachgewiesen werden, warum weizensensitive Personen Dinkel augenscheinlich besser vertragen, hierzu laufen auch noch Humanstudien die dies untersuchen. Es könnte einfach an der Zusammensetzung der Proteine liegen oder an entwas vollkommen anderem. Wer weiß das in diesem Stadium schon?

Ein strikter Verzicht auf Gluten macht nur bei einer echten Zöliakie Sinn und hilft bislang in keinster Weise bei anderen Beschwerden. Aussagen wie: Ich verzichte auf Gluten und esse daher Dinkel sind absoluter Blödsinn.

Abschließend noch einmal die Fakten zusammengefasst:

  • Weizen, bzw. manche Bestandteile des Weizens machen nur sehr wenige Menschen wirklich krank. Man hilft diesen Menschen auch nicht damit, dass eine weizenfreie oder glutenfreie Ernährung populär gemacht wird oder durch entsprechende Behauptunge nur zum Spaß gepusht wird.
  • Für einen großteil der Weltbevölkerung (über 90 %) ist die Ernährung mit Vollkornweizenprodukten von enrom großer Bedeutung für eine gesunde Ernährung. Bestandteile wie Ballaststoffe, Mineralstoffe, Vitamine usw. können so Zugänglich gemacht werden und eine Mangelernährung („Hidden Hunger“) zum Teil vermieden werden.
  • Im Gegensatz zu alten Sorten, haben moderne Weizensorten nicht mehr Gluten, ATI oder FODMAP. Die Pflanzenzüchtung kann auch nicht einfach so neue Proteine schaffen, es gibt im kommerziellen Bereich keine gentechnisch veränderte Sorte, die das könnte.
  • Eine glutenfreie Ernährung hilft nicht beim Abnehmen. Ganz im Gegenteil kann es sogar zu weiteren gesundheitlichen Problemen führen wie Diabetes.
  • Seit über 30.000 Jahren ernährt sich der Mensch von Weizen, aber erst vor kurzem von zugesetzen Hilfs- und Verarbeitungsstoffen. Darauf sollte eher der Blick gerichtet werden.
  • Wir essen keinen Weizen, wir essen kein Mehl sondern wir essen Brot. Und dieses ist nach wie vor ein gutes und gesundes Nahrungsmittel.
  • Lange Teigführungen sind für die Entwicklung des Geschmacks essentiell, aber sorgen nicht unbedingt für eine bessere Verträglichkeit.

Abschließend möchte ich sagen, wir sollten vielleicht aufhören unsere Ernährung wie eine Art Ersatzreligion zu betrachten und uns nicht ständig scheu und ängstlich machen lassen von seltsamen Veröffentlichungen und Trends. Man sollte lieber qualitativ hochwertige Lebensmittel beziehen und öfter auf seinen Körper hören. Weiterhin leidet immernoch ein viel zu großer Anteil der Weltbevölkerung an Hunger, es wäre daher falsch die Ernährung mit Weizen oder dem daraus hergestellten Brot zu verteufeln. Für viele Menschen ist es eines der wenigen Mittel die Ihnen bleibt um nicht zu verhungern und das sollte man sich jeden Tag wieder vor Augen führen.

In diesem Zusammenhang ist wichtig…

Ich bin weder ein Arzt noch ein Biochemiker. Allerdings habe ich diesen Beitrag erstellt, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Der Artikel erhebt weder den Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Richtigkeit, wurde aber mit bestem Wissen und Gewissen erstellt. Über Feedback oder Anregungen bin ich sehr dankbar, auch über andere Meinungen.

Bei Beschwerden sollte unbedingt ein Mediziner aufgesucht werden.

Folgende Quellen und Literaturhinweise zum Thema können empfohlen werden:

– Detlef Schuppan und Kristin Gisbert-Schuppan: „Tägliches Brot: Krank durch Weizen, Gluten und ATI“, Springer Verlag, 2018
– Prof. Dr. Friedrich Longin, Uni Hohenheim (z. B. Login et. al, 2020, Ziegler et al. 2016)
– Prof. Dr. Fred Brouns, Universität Maastricht