Heute hatte ich das große Vergnügen am 5. Feldtag der Universität Hohenheim teilnehmen zu können, der ganz im Zeichen des Urgetreides steht, dem Steckenpferd des Initiators Dr. Friedrich Longin.
Die Universität selbst feiert heuer Ihr 200-jähriges Gründungsfest. 1817 ging als Jahr ohne Sommer in die Geschichte ein, es gibt Berichte darüber, dass es im Juni auf der Alb geschneit haben soll. Die Ernte war zunichte gemacht worden, viele Menschen auf dem Land hungerten. Eine große Auswanderungswelle war die Folge, viele Menschen verließen das Königreich Württemberg, zumeist über Ulm mit den berühmten Ulmer Schachteln die Donau hinunter in der Hoffnung auf ein besseres Leben.
Von dieser Situation geprägt, entschied der damalige württembergische König Wilhelm I. auf Anraten seiner Gattin eine landwirtschaftliche Versuchsanstalt zu gründen, damit in Zukunft die landwirtschaftliche Situation im Lande Württemberg sich verbessere und keine Missernten und Hungersnöte mehr auftreten sollten. Die Universität wurde in das Schloss Hohenheim verlegt, das einen angemessenen Rahmen für die Stellung der Ernährung und Forschung in diesem Bereich bildet.
Dass das Thema Urgetreide sehr großen Anklang findet, war an den Besucherzahlen zu sehen. Nach der Pressekonferenz in der das Jubiläumsbrot zum 200. Jahrestag der Gründung der Universität Hohenheim am 20.11.1818 vorgestellt wurde, trudelten sehr viele Teilnehmer ein. Überraschend war für mich der hohe Anteil an Bäckern die vor Ort vertreten waren. Landwirtschaftliche Teilnehmer waren dagegen eher in der Unterzahl.
Eventuell lag es auch daran, dass eine hohe Dichte backende „Prominenz“ heute anwesend war 🙂 Neben Bernd Kütscher, dem Leiter der Akademie des deutschen Bäckerhandwerks in Weinheim waren auch Siegfried Brenneis, der Urgetreidervolutionär, Jörg Schmid von den Wildbakers und Tom the baker vor Ort. Natürlich waren vom getreideverarbeitenden Gewerbe nicht nur Bäcker anwesend, auch Monika Drax von der Draxmühle gab sich die Ehre und einige Großbetriebe, wie CSM oder die Schapfenmühle. Neben Bäckereien die Ihre Urgetreideprodukte vorstellten waren auch ein Nudelhersteller und zwei Brennerein vertreten, die schwäbischen Whiskey und Brände aus Urgetreiden wie Einkorn, Emmer und Dinkel anboten. Letztere stammten aus der Brennerei der Uni Hohenheim.
Nach einem kurzen Plausch und der Verköstigung der vorgestellten Waren, durften die Teilnehmer sehr interessanten Beiträgen zum Thema Urgetreide lauschen.
Die Fa. CSM machte den Anfang mit einem Werbefilm zum Thema Urgetreide. Ich persönlich fand den Film ausgesprochen gut gemacht, aber bitte seht selbst: Werbefilm CSM „Unsere Urgetreide“
Danach wurde das Wort Herrn Bernd Kütscher zugeteilt. Was soll ich sagen? Dieser Mann hat ein großes Talent zu sprechen und Emotionen mitschwingen zu lassen. Thema seiner Ausführungen war, wie Urgetreide als Chance für die backenden Betriebe wahrgenommen werden sollte und wie es allgemein um die Bäckereien in Deutschland bestellt ist. Man merkte ihm bei jedem Wort die Liebe zum Brot und zu seinem Beruf an. Es hat mir sehr viel Vergnügen bereitet ihm zuzuhören und wie man Brot verstehen sollte, als ein großartiges Lebensmittel, über das man sich sehr viel mehr Gedanken machen sollte, als man es jetzt tut. Bei Wein spräche man immer wieder über Lage und Terrain… warum macht man dies nicht bei Brot? Getreide ist ebenso ein Naturprodukt und kann natürlichen Schwankungen unterliegen, so kann der Geschmack ein und der selben Getreidesorte und -art von Anbaugebiet zu Anbaugebiet schwanken und sogar auf einem Schlag sind die Getreidequalitäten immer unterschiedlich. Warum nicht den Kontakt zum Landwirt suchen? Einen Teil seiner Fläche mit eigenem Getreide bepflanzen und ein Schild aufstellen: „Hier wächst ihr Brot!“. Eine tolle Idee wie ich finde, und dies wurde ja auch schon von Herrn Markus Steinleitner in Straubing, zusammen mit dem Gut Eglsee gemacht. Einen nicht ganz unerheblichen Anteil hatte ich daran ja auch 😀 Was ich auch interessant fand, war die Tatsache, dass Urgetreide einen große Chance für Bäckereien bieten, da diese nicht am Weltmarkt gehandelt werden. Somit können Landwirte, Müller und Bäcker in Ihrer Preisgestaltung etwas freier sein, und man kann eigentlich sicher sein, dass wenn man als Verbraucher Urgetreide kauft, jeder in der Wertschöpfungskette ordentlich dafür entlohnt wird, ohne Dumpingpreise. Ich war schlichtweg fasziniert, wie Herr Kütscher seine Liebe zu Brot transportiert. Wer mehr von ihm lesen will, er hat auch einen Blog: https://www.brotexperte.de/
Als nunmehr dritter im Bunde sprach der Urgetreidervolutionär Siegfried Brenneis darüber, wie man mit Urgetreiden in der Bäckerei arbeiten solle. Über Quell-, Brüh-, und Kochstücke ließen sich tolle Qualitäten erzielen. Urgetreidegebäcke sollte eher kühl und lange geführt werden, damit sie Ihre volle Geschmackliche Kraft entfalten können und die Backwaren qualitativ hochwertiger werden. Auch ihm merkte man die Liebe zu seiner Tätigkeit an, er hätte sicherlich einen ganzen Nachmittag darüber sprechen können wie die Arbeit mit Urgetreide aussehen könnte.
Der für mich aufschlussreichste Vortrag kam ganz zum Schluss von Prof. Dr. Fred Brouns von der Universität Masstricht. Sein Lehrstuhl „Health Food Innovation Management, Department of Human Biology“ beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Getreidekonsum auf die menschliche Gesundheit. Da derzeit sehr viel geschrieben wird, was Unverträglichkeiten in Bezug auf Weizen und Getreide an sich anbelangt, hat er heute etwas Licht in das Dunkel gebracht. Ich werde versuchen von Ihm noch weitere Informationen zu erhalten und die ein oder andere Studie von Ihm zu bekommen. Im Wesentlichen kann man seinen Vortrag allerdings auf folgende Punkte bringen:
Echte Glutenunverträglichkeit bzw. Zöliakie ist sehr selten in der Bevölkerung verteten, ebenso die Weizenallergie, die überwiegend Bäcker betrifft. Den weitaus größeren Anteil der „Unverträglichkeiten“ ist im Bereich der Nicht-Gluten-Unverträglichkeit-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität anzusehen. Insgesamt sind in allen 3 Bereichen allerdings zusammgengenommen nicht einmal 7 % der Weltbevölkerung betroffen.
Der Verzicht auf Gluten, wenn keine Zöliakie vorliegt, ist zunächst eher als unsinnig anzusehen, da er wissenschaftlich gesehen keinerlei Verbesserung der Gesundheit bewirkt. Was die Sensitivität anbelangt, so stehen verschiedene Substanzen in Verdacht, wobei allerdings Gluten zunächst kein Auslöser zu sein scheint. Auch Fodmaps sind seiner Meinung nach eher zu vernachlässigen, da sie in Verbindung mit Sauerteigen zu 100 % und bei Hefeteigen zu 80 % abgebaut werden. Hier hat auch die Universität Hohenheim mit Ihrer Studie zu den Fodmaps einen großen Beitrag geleistet. Eher in Verdacht stehen derzeit die ATI (=Amylase Trypsin Inhibitoren), welche eine Kette verschiedener Aminosäuren in den Proteinen bestimmter Weizensorten darstellen. Die ATI sind natürliche Schutzstoffe der Pflanze gegen Fraßfeinde und stehen in Verdacht gewisse Unverträglichkeiten beim Menschen auszulösen. Es gibt dafür allerdings keinerlei Beweise. Davon abgesehen gibt es eine Vielzahl von ATI, die allesamt zu untersuchen sind bevor eine abschließende Aussage getroffen werden kann. Auch die Elimination der ATI mittels Gentechnik, Stichwort „Crispr“, wäre eher kontraproduktiv, da der Pflanze der natürliche Schutz genommen würde.
Was auch immer wieder gerne behauptet wird ist, dass Urgetreide besser verträglich sei, da sie weniger Gluten enthalten und nicht „hochgezüchtet“ sind, wie moderner Brotweizen. Genau das Gegenteil ist nämlich der Fall: Urgetreide können einen signifikant höheren Glutenanteil aufweisen als moderner Weizen. Insbesondere Dinkel, der ja immer wieder gerne von Menschen konsumiert wird, die diesem Glauben unterliegen, hat einen wesentlich höheren Glutenanteil durch einen ebenso erhöhten Gliadinanteil wie modere Weizensorten.
Was ist also in Punkto Ernährung die Wahrheit? Prof. Brouns lies die Frage offen, denn es ist noch sehr viel zu klären und zu forschen bevor eine „Wahrheit“ zu Tage tritt. Bisher, so sagt er, ist alles eine Glaubenssache.
Der Feldtag endete dann mit einer Begehung der Versuchsfelder. In den Parzellen wurden die Erträge unterschiedlicher Urgetreide, wie Einkorn, Emmer und Dinkel untersucht. Es wurde dabei nach verschiedenen Sorten unterschieden (sofern genügend vorhanden waren) und nach der Düngergabe. Was ich faszinierend fand ist die Tatsache, dass Urgetreide empfindlich auf eine zu hohe Düngergabe reagieren. Wird den Pflanzen zu viel Stickstoff gegeben, so neigen sie eher dazu „ins Lager“ zu gehen, also umzukippen. Moderner Weizen verträgt dagegen eine wesentlich höhere Düngergabe mit Stickstoff. Noch nicht einmal das „kurzspritzen“ um die Halme der Getreide zu verkürzen würde dagegen etwas ausrichten. In diesem Punkt, habe ich sehr viel dazulernen können. Auch die Tatsache, dass Einkorn ein eher „langsames“ Getreide ist, fand ich interessant. Einkorn wächst sehr langsam und spärlich und reift im Vergleich zu allen anderen Getreiden sehr spät. Wo rings um das Einkorn bereits alles reif war, so steht dieses Getreide noch Grün auf dem Acker. Woran dies liegt? Man konnte es mir nicht sagen.
Schlussendlich kann ich nur sagen: Wer auch immer die Möglichkeit hat, an einem Feldtag teilzunehmen sollte es tun. Es ist lehrreich und äußerst interessant. Ich werde auf jeden Fall immer die Möglichkeit nutzen, wenn sich mir wieder eine bietet.
Danke für den Beitrag. Sehr informativ. Ich backe schon länger mit Dinkel und Emmer und kann nur bestätigen dass es sich lohnt. Andere Urgetreide werden demnächst folgen.
Danke für diesen ausführlichen Bericht und die ausdruckstarken Fotos